Ist die Stromversorgung Deutschlands auch nach dem Atomausstieg am 15. April 2023 gesichert?
Ja. Das hat die Bundesnetzagentur in ihrem Bericht zur Stromversorgungssicherheit vom Januar 2023 nochmal klargestellt. Trotz Atomausstieg und auch bei einem deutschlandweit vorgezogenen Kohleausstieges bis 2030 kommt keine Stromversorgungslücke auf Deutschland zu. AKW hatten im März 23 nur noch einen Anteil von 5% ab der Stromerzeugung, das wird kurzfristig durch flexible andere Kraftwerke ersetzt und mittelfristig durch die ansteigende Stromproduktion durch Erneuerbare, die im März 23 bereits einen Anteil von über 50% erreichte. Das deutsche Stromnetz gehört weiterhin zu den Zuverlässigsten der Welt. Der Stromverbrauch wird zwar aufgrund von neuen Verbrauchern wie Wärmepumpen und Elektromobile steigen, aber die neuen Ziele und Strategien der Bundesregierung zum EE-Ausbau und im Bereich der Energieeffizienz werden es uns ermöglichen, den notwendigen Strom deutlich günstiger zur Verfügung zu stellen. Das letzte Jahr hat eindrucksvoll gezeigt, dass gerade die unberechenbare Atomkraft die Versorgungssicherheit eines Landes wie Frankreich auf unberechenbare Weise gefährden kann.
Sind Atomkraftwerke sicher?
Nein, Atomkraftwerke sind nicht ohne erhebliches Risiko zu betreiben, und in Kriegszeiten oder bei Terrorgefahr ist die Gefahr, die von ihnen ausgeht, nochmals größer. Wir sehen aktuell wie in der Ukraine Atomanlagen zu strategischen Zielen werden, gleichzeitig haben auch im Westen in den vergangenen Monaten Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur zugenommen. In solch einer Lage bedeutet jeder Atomreaktor eine strategische Schwäche und eine reale Gefahr.
Außerdem sind die Alterung der europäischen Reaktorflotte und die zunehmende Tendenz zur Laufzeitverlängerung von AKW mit neuen Risiken verbunden. AKW-Reaktordruckbehälter in Belgien, Frankreich und UK weisen Risse auf, die ihre Widerstandsfähigkeit beeinträchtigen könnten. In Frankreich werden seit einem Jahr laufend neue Risse in Sicherheitssystemen gefunden, wo sie überhaupt nicht erwartet worden waren. Das veranschaulicht nochmal die Unbeherrschbarkeit dieser Technologie. Alte Anlagen sind außerdem noch schlechter gegen externe Angriffe oder Flugzeugabstürze geschützt und sind mit weniger Sicherheitssystemen zur Unfallbeherrschung bestückt. Kurz gesagt steigt das Unfallrisiko mit dem Alter der Anlagen.
Sind Atomkraftwerke zuverlässig?
Nein, Atomkraftwerke fallen sehr oft aus. Aufgrund von Störungen und langwieriger Wartungen steht Atomstrom im Schnitt mehr als ein Fünftel der Zeit nicht zur Verfügung, ein Rekord im Vergleich zu anderen Stromquellen. Das es noch schlimmer kommen kann, veranschaulicht Frankreich gerade sehr eindrucksvoll: 2022 waren bis zu 32 von 56 Reaktoren nicht am Netz und das Land war auf massive Stromimporte angewiesen. Das ist zum einen Korrosionsschäden in mehreren alten Reaktoren geschuldet, zum anderen aber auch einer andauernden Hitzewelle im Sommer. Denn Atomkraftwerke kommen mit den Auswirkungen der Klimakrise, Hitze und Wassermangel nicht gut zurecht: Um ungestört zu laufen, brauchen sie milde Temperaturen und reichlich Kühlwasser in der Regel aus Flüssen. Und die Wasserversorgung wird durch die Klimakrise immer unberechenbarer – nicht nur in Frankreich.
Ist Atomstrom günstig?
Atomstrom ist vier Mal so teuer wie Strom aus Wind und Solar. Eine MWh Atomstrom kostet 148 €, während eine MWh aus Wind- und Solarstrom hingegen nur 37 € kostet. Für jeden investierten Euro erhält man also vier Mal so viel Strom aus Erneuerbaren wie aus Atomenergie.
Die jährlichen Kosten der Atomenergie belaufen sich im deutschen Bundeshaushalt 2022 auf etwa 1,8 Mrd. EUR. Darunter fallen z.B. die Kosten der Zwischen- und Endlagerung sowie Kosten für die Stilllegung und den Rückbau von Atomkraftwerken.
Hinzu kommen andere Posten, wie z.B. die insgesamt 2,4 Milliarden Euro, die die Bundesregierung 2021 den AKW-Betreibern als Entschädigung für die entgangenen Gewinne aufgrund des von der Regierung Merkel schlecht ausgestalteten Atomausstieges zahlen musste. Nicht zuletzt die Rückholung des Atommülls aus dem ungeeigneten alten Bergwerk Asse 2 in Niedersachsen wird in den kommenden Jahren weitere Milliarden kosten.
Ein Gutachten im Auftrag des Wirtschaftsministeriums kam 2015 zum Schluss, dass die Gesamtkosten für die Abwicklung der Atomkraft in Deutschland insgesamt 170 Mrd. Euro erreichen könnten. Das erscheint mittlerweile eher als eine niedrige Schätzung.
Immer wieder wird Deutschland ein „Sonderweg“ bei der Atomkraftnutzung vorgeworfen. Steigt der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Energieversorgung aktuell?
Nein, der weltweite Markt für Atomkraftwerke ist rückläufig. Nach Daten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) wurde die maximale Anzahl an weltweit in Betrieb befindlichen Reaktoren bereits 2005 erreicht und seit 2018 sinkt die installierte Leistung rasant. Mit Stand 1. Juli 2022 waren in der europäischen Union nur drei Reaktoren im Bau – und das mit horrenden Kostensteigerungen und Bauzeitverzögerungen. Im Vergleich dazu waren noch 1979 weltweit 234 Reaktoren im Bau. Hauptgrund dafür ist die mangelnde Investitionsbereitschaft in diese teure Technologie. Für private Investoren sind Atomkraftwerke kein profitables Investment und ein unkalkulierbares Risiko. Ohne Investoren schaffen es auch Staaten oft nicht, die Milliardenkosten zu stemmen. Insgesamt nimmt die Bedeutung der Atomkraft daher weltweit rapide ab. 1996 sorgte Atomkraft für 17,5% der weltweiten Bruttostromerzeugung, 2021 waren es nur noch 9,8 Prozent. (world nuclear industry status report 2021, S.38). An der Gesamtenergieerzeugung (Strom, Wärme, Verkehr) liegt der Anteil weltweit nur um die 2 Prozent.
Dr. Jan-Niclas Gesenhues MdB
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Umweltpolitischer Sprecher
Leiter AG Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
Platz der Republik 1
11011 Berlin
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